Dr. Frank Hoffmann ist Ideengeber des Sozialunternehmens ‚discovering hands‘, das auf den überlegenen Tastsinn blinder und sehbehinderter Frauen setzt und sie so in die Brustkrebsfrüherkennung einsetzt. So erhalten sie eine fundierte Ausbildung zur Medizinisch-Taktilen Untersucher und helfen außerdem, Leben zu retten. Für sein Engagement wurde der engagierte Gynäkologe jetzt mit dem Zugabe-Preis der Hamburger Körber Stiftung ausgezeichnet, der jährlich an drei 60plus-Gründer:innen für ihr unternehmerisches Geschick wie auch ihr soziales Feingefühl verliehen wird und mit je 60 000 Euro dotiert ist.

Wie blinde Frauen dabei helfen, Brustkrebs früh zu ertasten

 

Von Gitta Schröder

 

 

 

Es ist traurige Realität für uns Frauen: Zwei oder drei Minuten – länger nehmen sich Gynäkologen meist keine Zeit, wenn sie bei der Krebsvorsorge unsere Brüste untersuchen. Dabei ist eine gründliche Tastuntersuchung laut Dr. med. Frank Hoffmann immens wichtig, um Veränderungen im Brustgewebe frühzeitig zu erkennen und so zu verhindern, dass ein Tumor streut und weitere Organe befällt, was meist tödlich endet.

 

Denn nach wie vor erkranken jährlich 70 000 Frauen an Brustkrebs, der damit die häufigste Todesursache für Frauen ist. Trotzdem ist ein Mammographie-Sreening als gesetzliche Vorsorgeleistung erst für Frauen zwischen 50 und 69 alle zwei Jahre vorgesehen.

 

 

 

Ein Unding – fand Frauenarzt und Geburtshelfer Frank Hoffmann. Denn etwa 20 Prozent der Tumore treten bei Frauen unter 50 auf. Und dieses Dilemma lies den Mediziner aus Mülheim an der Ruhr nicht mehr los. Bis er eines Morgens beim Duschen auf die geniale Idee kam: Warum nicht blinde und sehbehinderte Frauen für die Tastuntersuchung gewinnen? Denn sie verfügen meist über einen überdurchschnittlichen Tastsinn und man könnte ihnen zudem einen verantwortungsvollen Beruf in Aussicht stellen. Es entstünde also eine Win-Win-Situation für die Patientinnen wie auch für die blinden Frauen.

 

 

 

So schlug 2005 die Geburtsstunde des innovativen Sozialunternehmens ‚discovering hands‘, in dessen Folge Dr. Frank Hoffmann ein 10-monatiges Ausbildungstraining für Menschen mit Sehbehinderung konzipierte, an dessen Ende sie als zertifizierte Medizinisch-Taktile-Untersucher (MTU) in Arztpraxen und Zentren beginnen konnten. Aus der einstigen Behinderung wurde auf diese Weise Begabung – und zudem ein qualifizierter Beruf, dessen Verdienst in etwa auf dem Niveau einer Arzthelferin liegt.

 

 

 

Caroline Schoeninger ist eine solche Medizinisch-Taktile-Untersucherin. Die frühere Grafikerin ist von Geburt an hochgradig kurzsichtig. Außerdem wurde bei ihr als Folgeerkrankung 1995 auf beiden Seiten ein Glaukom, also Grüner Star, diagnostiziert. „Deshalb konnte ich trotz Therapie und Operationen immer schlechter sehen und ich musste mich beruflich umorientieren“, erzählt die Hamburgerin. Damals erfuhr sie vom Beruf als Medizinisch-Taktile-Untersucherin und war sofort neugierig auf die Ausbildung. „Ich wollte das unbedingt“, meint die heute 61-Jährige. „Denn wenn meine Begeisterung erstmal geweckt ist, bin ich nicht zu bremsen.“

 

Nach einem Auswahlverfahren und bestandenem Assessment startete die Sehbehinderte ihre 10-monatige Vollzeit-Ausbildung bei ‚discovering hands‘. „In den ersten sechs Monaten büffelten wir medizinisches Fachwissen und verfeinerten unseren Tastsinn“, erinnert sich Caroline Schoeninger. Nach ihrer bestandenen Theorie-Prüfung folgten dann Praktika in gynäkologischen Praxen und ein Klinikpraktikum in einem Brustzentrum. „Dort konnte ich als angehende MTU auch diagnostizierte Tumore in der Brust nachtasten und so wichtige Erfahrungen für meine heutige Arbeit sammeln.“

 

Seit 2018 arbeitet Caroline Schoeninger nun als MTU für ‚discovering hands‘ und ist an zwei feste Praxen in Hamburg angegliedert. „Eine Untersuchung bei mir dauert rund 45 bis 60 Minuten. Zuerst führe ich mit der Patientin ein Anamnese-Gespräch, bei dem ich Name, Alter, Größe, Gewicht, Hormonstatus, Brusterkrankungen in der Familie, Medikamente und Vorbefunde erfrage.“ Anschließend folgt eine erste Untersuchung der Patientin im Sitzen, bei der die Untersucherin die Lymph-Abflusswege abtastet und die Temperatur der Brust prüft. Anschließend legt sich die Patientin auf die Liege und Caroline Schoeninger beklebt die Brüste mit fünf speziellen Dokumentations- und Orientierungsstreifen, durch die die Brust in vier Zonen unterteilt werden. „Ich untersuche dann Zone für Zone, Zentimeter für Zentimeter und taste in drei unterschiedlichen Druckstärken, um in die oberste, mittlere und unterste Hautschicht zu kommen“, erklärt die Tastspezialistin. „Wenn ich etwas finde, das abgeklärt werden muss, dokumentiere ich dies für den Arzt, der sich die Patientin dann noch einmal ansieht und den Befund abklärt.“

 

 

 

Der Vorteil einer Taktilen Brustuntersuchung durch die MTU ist deutlich: „Wir haben viel mehr Zeit für die Patientin als ein Arzt. Und wir können durch unseren besonderen Tastsinn schon 6 Millimeter kleine Veränderungen erfühlen“, so die 61-Jährige. „Außerdem kommt unsere Untersuchung ohne Strahlenbelastung aus und ist nicht so schmerzhaft wie eine Mammographie. Wobei das relativ ist, denn jede Frau hat ein anderes Schmerzempfinden.“

 

Caroline Schoeninger hat ihr Aufgaben-Spektrum zudem erweitert. „Ich leite als Co-Moderatorin Webinare zur Brustgesundheit, die ‚discovering hands‘ verschiedenen Firmen im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements anbietet. Oder ich gehe direkt in die Betriebe und schule die Mitarbeiterinnen im Eins-zu-Eins-Setting im Selbstabtasten ihrer Brüste.“

 

Auch diese Idee stammt von Dr. Frank Hoffmann und seinem Team, das gerne noch viel mehr Unternehmen dafür gewinnen möchte, etwas für die Brustgesundheit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu tun. Denn auch Männer können an Brustkrebs erkranken.

 

Der Erfinder von ‚discovering hands“ plant aber noch mehr. Um auch bereits Mädchen und junge Frauen anzusprechen und für ihre Brüste zu sensibilisieren, würde er gerne mit  Schulen zusammenarbeiten, geeignete Infomaterialien für diese Zielgruppen entwickeln und eine Extra-App zum Selbstabtasten entwickeln. Denn der Gynäkologe hat festgestellt, dass im Körperbild von vielen Mädchen und Frauen ihr Busen gar nicht vorkommt oder nur ein etwas gestörtes Verhältnis dazu besteht. Ein Grund dafür sei in der Entwicklungspsychologie zu suchen. Denn während Jungen schon „komplett“ auf die Welt kommen, müssten Mädchen sich erst spät mit ihren Brüsten ‚anfreunden‘ – und das auch noch in so einer schwierigen Zeit wie der Pubertät. „Das führt dazu, dass der Aufbau eines normalen Verhältnisses zu den eigenen Brüsten nicht immer gelingt und auch ältere Frauen mir erzählen, dass sie wohl auch deshalb ihre Brüste nicht betasten“, erzählt Frank Hoffmann aus seinem Praxisalltag.
Er möchte deshalb mit ‚discovering hands‘ und der Komnpetenz der MTUs erreichen, dass die jungen Frauen ihre Brüste künftig besser in ihr Körperbild integrieren und die Selbstabtastung zu etwas ganz Normalem wird.

 

Und wer sieht, was Dr. Hoffmann bereits alles erreicht hat, der weiß, auch das wird ihm garantiert gelingen. Schließlich verfügt das Sozialunternehmen ‚discovering hands‘ mittlerweile über eine extra Akademie für Sehbehinderte mit Sitz in Berlin, an der drei Trainerinnen und eine Lehr-MTU unterrichten. Zu den Erfolgen seines Teams zählt aber auch, dass heute über 50 Medizinisch-Taktile-Untersucherinnen in 130 Partnerpraxen und Kliniken im Einsatz sind. Und Hoffmann und seine Mitarbeiterinnen haben es geschafft, immer mehr Krankenkassen davon zu überzeugen, die Kosten der MTU von zwischen 52 bis 65 Euro zu übernehmen.

 

 

 

Die Medizinisch-Taktile-Untersucherin Caroline Schoeninger ist auf jeden Fall stolz darauf, dass sie durch ihre Arbeit einen wichtigen Beitrag in der Brustkrebsfrüherkennung leistet. „Ich bin sehr dankbar, eine so wertschätzende Tätigkeit auszuüben. Und es ist schön, vertrauensvoll mit den freundlichen und kompetenten Ärzten zusammenzuarbeiten.“

 

Vor allem aber freut sich Schoeninger über das unglaublich positive Feedback ihrer Patientinnen. „Die Frauen sind dankbar, dass es uns und die Untersuchung gibt und kommen jedes Jahr wieder. Tatsächlich empfehlen laut Befragung von Discovering Hands 97,4 Prozent der Frauen die Untersuchung weiter. Das spricht doch für sich“.

 

 

Millimeter, die über Leben oder Tod entscheiden

 

Eine wissenschaftliche Studie von 451 Patientinnen hat bestätigt, dass die Medizinisch-Taktilen-Untersucherinnen 50 Prozent kleinere Gewebe-Veränderungen erspüren als Ärzte. Rund 29 Prozent aller entdeckten Tastbefunde wurden in dieser Studie tatsächlich nur durch die MTU erkannt. Denn die Tast-Expertinnen fühlen bereits Knötchen von nur 6 bis 8 Millimetern Größe, während die Ärztinnen und Ärzte Gewebeveränderungen üblicherweise erst ab einem Durchmesser von 10 bis 20 Millimeter erfühlen können. Und je kleiner der Befund, desto größer die Heilungschancen.

 

Nähere Infos zu ‚discovering hands‘ und in welchen Praxen MTUs tätig sind, gibt es im Internet unter www.discovering-hands.de. Auf dieser Seite sind auch alle Krankenkassen aufgeführt, die die Kosten übernehmen.